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AstraZeneca vs. Europäische Kommission - Was tun bei Lieferverzug

In der letzten Woche ist ein medienwirksamer Streit zwischen Corona-Impfstoffhersteller AstraZeneca und der Europäischen Kommission ausgebrochen. AstraZeneca, deren Impfstoff bis Freitag, 29.1. 2021 noch nicht mal in der EU zugelassen war, hat angekündigt, dass weniger Impfstoffdosen als versprochen ausgeliefert werden. Daraufhin gab es ein heftiges Poltern der regionalen und überregionalen Politik, dass Zusagen eingehalten werden müssen und dass das alles so nicht gehe. Ich möchte hier meine Sichtweise zu dem Thema kundtun. Als Disclaimer vorweg: Ich tue dies, da ich seit 16 Jahren in der Industrie tätig bin und glaube verstanden zu haben wie produzierende Betriebe denken. Außerdem glaube ich verstanden zu haben, wie Vertragsverhandlungen bzw. Verhandlungen generell funktionieren. Ich habe aber keinerlei Einblicke in die Pharmaindustrie und meine Aussagen beziehen sich lediglich auf meine beruflichen Erfahrungen, die ich in der Stahl-, Kunststoff- und Papierindustrie gesammelt habe. Außerdem habe ich während meines Europarechtsstudiums glaub ich auch verstanden, wie Recht im Wesentlichen funktioniert. Meine Quellen sind also im Grunde meine Erfahrung, der veröffentlichte (und teilweise geschwärzte) Vertrag zwischen AstraZeneca und der Europäischen Kommission und das, was man so in den Medien liest (Quellen siehe unten). Wem das nicht reicht, der kann hier gerne aufhören zu lesen.

Ich habe meine Analyse in zwei Teile geteilt. Zuerst möchte ich die ganze Sachlage einen Praxistest unterziehen und meine Meinung kundtun, wie Verhandlungen mit mir am Tisch abgelaufen wären. Danach schaue ich mir in einem rechtlichen Theorieteil den veröffentlichen Vertrag an, welche Rechte und Pflichten der Lieferant AstraZeneca und der Empfänger EU haben. 

 

Zum Praxisteil: In einer Produktion ist es ganz normal, dass man Ware verkauft, die noch gar nicht produziert ist. Alles andere würde Lager überfüllen und den Cashflow eines Unternehmens in einer Weise belasten, die nicht wirtschaftlich wäre. Also schließt man Deals bzw. Verträge über Lieferungen von Ware ab, deren Produktion erst geplant aber noch nicht erledigt ist. Die Ware ist wie gesagt noch nicht physisch vorhanden, aber man hat mit Produktion, Einkauf und Logistik einen Produktionszeitpunkt und je nach Branche einen Fertigstellungstermin bzw. in manchen Fällen auch einen Lieferzeitpunkt errechnet, den man meist auch bekannt gibt. In meinen bisherigen Tätigkeiten waren das dann entweder eine Kalenderwoche, in der die Ware fertig zum Versand ist (Stahl), oder ein Tag an dem die Beladung geplant ist (Kunststoff) oder sogar ein genauer Eintrefftermin (Papier). Wobei ich persönlich bei jeder Terminbekanntgabe immer dazusage: das ist der geplante Termin vorbehaltlich Produktionsproblemen. Hier habe ich  festgestellt, dass sich hier Usancen je nach Branche stark unterscheiden. So war es vor 15 Jahren in der Stahlbranche ganz normal mit den Kalenderwochen zu jonglieren, weil man wusste, dass es einfach nicht genauer planbar ist und bei Papier ist es schon mal ein Drama, wenn eine Ware die 2000 km transportiert wird, nicht am Freitag 7 Uhr angeliefert wird, sondern erst um 14 Uhr. Wie genau die Lieferterminbekanntgabe bei Impfstofflieferungen verläuft entzieht sich meiner Kenntnis, wäre hier aber für Insiderwissen dankbar.

Aber genug geschwafelt, schauen wir uns den Fall AstraZeneca an, soweit er mir bekannt ist. Hier war die Belieferung in den Europäischen Binnenmarkt von einem Werk in Belgien geplant. Die geplante Lieferung war auch vorbehaltlich einer Zulassung durch die europäischen Gesundheitsbehörden, die auch noch nicht erfolgt ist (sie ist dann wie oben erwähnt am 29.1. erfolgt, aber da haben sich schon alle davor darüber aufgeregt, dass die Ware verzögert geliefert werden wird). Also klassischer Produktionsfall: AstraZeneca hat ein Werk in Belgien und verkauft die Produktion an den umliegenden Markt, die EU-Mitgliedsländer. Beim Hochfahren der Anlage geht alles etwas langsamer, also informiert man den Kunden, dass man verzögert anliefern wird. Soweit so normal, musste ich auch schon öfter mal machen. Neu für mich ist tatsächlich, dass man etwas verkauft, wo man noch nicht weiß, ob man es überhaupt in den Markt bringen darf. Hier fehlt mir die Erfahrung, wie man dies angehen würde, da bin ich also raus (kein Pharmaexperte).  Meiner Erfahrung nach gibt es zwei Reaktionsvarianten von Käufern bei einem Lieferverzug: Es gibt diejenigen, die Verständnis zeigen und sagen, gebt halt euer Bestes und haltet uns auf dem Laufenden und dementsprechend partnerschaftlich die jeweiligen Pläne adaptieren. Das sind einerseits die Kunden, die man langfristig bevorzugt, weil sie lieferantentreu sind, andererseits tendiert man als Unternehmen vielleicht auch dazu genau diese Kunden bzw. deren Aufträge öfter zu schieben, weil es halt einfacher geht als bei anderen. Ist ein zweischneidiges Schwert. Und dann gibt meiner Erfahrung noch die Kunden, die ich als "die Polterer" bezeichne. Das sind die, die dann sagen, dass das nicht so gehe, und man mit Klagen, Pönalen, Strafen oder einfach keinen weiteren Aufträgen rechnen müsse. Kurzfristig erscheint mir so eine Reaktion tatsächlich recht erfolgversprechend, weil man als Unternehmen versucht ist, die Polterer zu befriedigen, einfach weil man eingeschüchtert ist, oder weil man einfach seine Ruhe haben möchte. Langfristig wird man als Unternehmen aber versuchen diese Kunden schlechter zu stellen, da man als Verkäufer einfach ein partnerschaftliches Verhältnis zu einem angespannten Verhältnis bevorzugt. Ich habe von einem damaligen Chef in einer Verhandlung mit so einem Polterer übrigens mal eine Taktik gehört, die ich seither immer anwende. Er meinte damals auf eine Klagsandrohung: "Natürlich können wir uns vor Gericht treffen. Aber dir muss eines bewusst sein, das ist dann - egal wie es ausgeht - das letzte Mal, dass wir etwas miteinander zu tun haben, weil wir schlicht und ergreifend keine Geschäfte mehr in Zukunft machen werden mit jemandem, der uns mal verklagt hat."

Tatsächlich sind wir Europäer da eher nachtragender als die Amerikaner, die wenn man den Pressemeldungen glaubt ja ständig im Gerichtssaal sind und aber währenddessen munter weiter arbeiten. Im Falle von AstraZeneca vs. Europäische Kommission hat poltern aus meiner Sicht auch keinen Sinn. Denn es gibt schlicht und ergreifend kein Überangebot und AstraZeneca kann jede Impfstoffdosis mehrfach verkaufen. In so einer Lage ist es sinnvoller eine konstruktive Gesprächsbasis aufrecht zu erhalten.

 

Aber schauen wir uns auch die rechtliche Thematik an, was ist durchsetzbar und was nicht. Im bisher veröffentlichten Vorverkaufsvertrag, ist aus meiner Sicht alles extrem schwammig formuliert. Sollte das tatsächlich das einzige Vertragswerk sein, dass es zwischen der Europäischen Kommission und AstraZeneca gibt, dann wäre das aus meiner Sicht wirklich wenig. Ich hätte dies maximal als Rahmenvertrag abgeschlossen und in weiterer folge einen genauen Lieferplan mit definierter Menge und Datum bis zu einer Deadline verhandelt. Ob dies getan wurde kann ich aufgrund des Vertrages nicht sagen, es gibt zumindest keinerlei Querverweise auf so eine Planung. Im veröffentlichten Vertrag wird meist lediglich der Terminus "Beste Reasonable Effort"  verwendet (siehe Punkt 1.9. und 5.1. vom Liefervertrag), wenn es um die Lieferung der ersten Dosen geht. Das ist im Wesentlichen aus meiner Sicht das englischsprachige Äquivalent zum deutschen "ehrbaren Kaufmann", was so viel bedeutet, dass man verantwortlich, wirtschaftlich nachhaltig handeln muss. Sprich: AstraZeneca muss sich redlich bemühen zu liefern, muss dafür aber keinen Konkurs oder sonstige wirtschaftliche Nachteile riskieren.

Das Thema Lieferkapazität und Engpässe, um das es jetzt in dem ausgebrochnen Streit geht, wird  im Punkt 6.2. angesprochen. Hier steht aber lediglich, dass AstraZeneca die Europäische Kommission umgehend informieren muss, wenn AstraZeneca nicht in der Lage ist die Lieferverpflichtung zu erfüllen, was sie getan haben und weiters wie bereits oben erwähnt, "best reasonable efforts" an den Tag legen müssen um schnellstmöglich zu liefern. Soweit war AstraZeneca aus meiner Sicht also vertragskonform.

Dann gab es da ja auch Stimmen die sagen man sei gegenüber Großbritannien benachteiligt und soll einfach Impfdosen aus Großbritannien liefern, wenn das Werk in Belgien Lieferschwierigkeiten hat. Das wäre aus meiner Sicht nicht vertragskonform. Unter 5.1. steht nämlich "AstraZeneca shall use its Best Reasonable Efforts to manufacture the Initial Europe Doses within the EU for distribution, and to deliver to the Distribution Hubs, following EU marketing authorization,..."

Hier wird also explizit erwähnt, dass man innerhalb der EU produzieren soll, Großbritannien ist aber nun mal kein Mitglied der EU mehr, ob man will oder nicht. Hier könnte man als AstraZeneca sogar argumentieren, dass es eben nicht das Gebaren eines ehrbaren Kaufmannes wäre, wenn man Vorortproduktion in Großbritannien, die auch in Großbritannien verkaufbar ist, in die EU liefern würde, wo auch noch die Transportlogistik und daher entsprechend Zusatzkosten hinzu kommen.

Den einzigen rechtlichen Hebel, den ich sehe wäre für die Europäische Kommission  unter Punk 13.1. (e)

 

"AstraZeneca represents, warrants and convenants to the Commission and the Participating Member States that it is not unter any obligation, contractual or otherwise, to any Person or third party in respect of the Initial Europe Doses or that conflicts with or is inconsitent in any material respect with the terms of this Agreement or that would impede the complete fulfillment of its obligations under this Agreement;"

 

Sprich, wenn die Europäische Kommission beweisen könnte, dass AstraZeneca wegen eines  Interessenskonflikts bewusst nicht liefert, bzw. weil man wo anders mehr Geld bekommt oder weil man im jemandem die Mengen aus Belgien zugesagt hat und lieber dorthin liefert, dann hätte man einen Angriffspunkt. Aber wie gesagt, dass muss mal bewiesen werden und wenn tatsächlich lediglich Lieferschwierigkeiten im belgischen Werk bestehen, dann kann ich mir das nicht vorstellen, dass man da irgendwie weiter kommt. Aus rein kaufmännischer Sicht, würde ich sogar sagen, dass Großbritannien 3 Monate vorher bestellt hat und auch die Zulassung früher erteilt hat, daher gibt es keinen logischen Grund jetzt die EU zu bevorzugen, bis auf die Tatsache, dass man sie laut obiger Klausel halt nicht schlechter stellen darf.

 

Also im Endeffekt bietet der sehr schwammig formulierte Vertrag kaum die Möglichkeit irgendeine Lieferung schneller durchzusetzen und poltern bringt aus meiner Sicht hier auch Recht wenig. Hinsetzen, reden, kontinuierliche Lieferupdates bekommen (wozu AstraZeneca laut Vertrag sowieso verpflichtet ist) und dann entsprechend die eigenen Impfpläne anpassen. Das wäre aus meiner Sicht das rational Richtige. Aber wie gesagt, ich bin da kein Profi, hab hier nur eine Meinung dazu.

 

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